1939 – Das vorerst letzte Grossglockner Rennen
Sieger auf Mercedes Silberpfeil W 125 : Hermann Lang (D) in 10:03,40 Minuten
Im Jahr 1939 lockt die dritte Auflage des Grossglockner Rennen wieder viel mehr Teilnehmer und Zuschauer als im Vorjahr nach Zell Am See, Kaprun, Bruck und Fusch. Wieder ist in Ferleiten das Fahrerlager am Lukashansl und an der Mautstation. Auch in diesem Jahr strömen wieder zehntausende Besucher nach Fusch und Ferleiten, säumen die Startzone an der Mautstation und die letzten Kehren bis zum Fuscher Törl. Es gibt Quellen, die von 60.000 sportbegeisterten Zuschauern sprechen – eine Zahl in dieser sagenhaften Höhe ist allerdings sicherlich ein Übermittlungsfehler.
Das Wetter hält Kapriolen für die Teams bereit. Schon die Trainingstage sind teilweise verregnet. Aber es gibt auch trockene Abschnitte. In ihnen kommt der brachiale Silberpfeil von Mercedes-Benz im Training mit Zwillinsgbereifung zum Einsatz. Man verspricht sich mehr „Grip“ – allerdings mehr Hermann Lang, der wieder neben Manfred von Brauchitsch einer der beiden Silberpfeil Piloten ist, daß er zwar die Kehren gut „anpeilen“ kann, aber durch die breitere Konstruktion seiner Hinterachse mit den Zwillingsreifen doch weiter ausholen muß.
Der Zeitvorteil durch die Doppelbereifung geht in den Kehren durch weiteres Ausholen und der Vermeidung von Kontakten mit den Bordsteinen der Wasserrinnen wieder verloren. Man beschließt daher beim Rennen mit normalen Reifensätzen auf der Hinterachse an den Start zu gehen.
Am Renntag selbst zeigt ich der Großglockner von seiner schlechtesten Seite: Starke Regenfälle, Gewitter, Sonnenschein und Nebel wechseln sich den ganzen Tag über ab. Der Nebel wird teilweise so dicht, dass die Sichtweite unter 20 Meter liegt.
Zwei Läufe werden gefahren – wie 1938 schon – und die Zeiten der beiden Läufe werden addiert.
1939 hätte H.P. Müller auf Auto Union moralisch den Sieg am Großglockner verdient gehabt – den ersten Lauf entscheidet er für sich – mit einer unglaublichen Zeit von 8´54,3 – es entspricht einem Schnitt von 84,86 km/h. In diesem Lauf schön wechselt das Wetter häufig. Welchen Hinweis auf eine Siegerqualität können da noch die Zeiten geben? Hinter Müller liegt Hans Stuck, der „Bergkönig“ des Vorjahres ebenfalls auf Auto Union mit 84,70 km/h und Hermann Lang auf Mercedes-Benz, mit 84,73 km/h.
In der Rennwagenklasse bis 1500 cm³ fährt Rocco (I) auf einem der fünf gestarteten Maserati einen Schnitt von 78,13 km/h. Auch am „Vorabend des Weltenkrieges“ ist die Starterliste für das Rennen 1939 noch eindrucksvoll.
Erste Farbbilder vom Rennen entstehen. Es bleiben aber sehr wenige Aufnahmen, die das letzte „grosse Rennen“ zeigen. Wieder sind die Strassenränder -wie schon 1938 – dicht gestellt mit den Reihen der Zuschauer und Motorsportfans.
Eine komplette Starterliste aus unserem Grossglockner-Rennen-Archiv finden Sie hier.
Regen unten, Nebel im oberen Bereich – nur Witterungszufälle können dieses dritte Grossglockner Rennen noch entscheiden, denn das fahrerische Können Müllers und Langs scheint absolut gleichwertig zu sein. Es geht in den zweiten Lauf …
Und so ist es auch der Regen, der den Ausschlag gibt: H.P. Müller ist in einer nassen Kehre eine Idee zu schnell, ein mehrfacher Dreher mit seinem Auto Union auf der nassen Strasse kosten ihn volle 23 Sekunden.
Die Durchschnittgeschwindigkeiten im zweiten Lauf sprechen eine klare Sprache: Der Einfluss des Wetters in unübersehbar: Rocco (I) behält seinen ersten Platz in der Sportwagen-Klasse, aber nur mehr mit einem Schnitt von 69,53 km/h. Müller – 65,19 km/h, Stuck – 65,10 km/h, Lang – 67,45 km/h und v. Brauchitsch – 60,68 km/h…das sind die Geschwindigkeiten in Nebel und Regen…in einer sprichwörtlichen Waschküche.
Die Gesamtzeiten nach zwei Läufen 1939:
- Hermann Lang – Mercedes – 20:07,90 Minuten
- Hans Stuck – Auto Union – 20:11,50 Minuten
- H.P. Müller – Auto Union – 20:30,00 Minuten
- Manfred von Brauchitsch – Mercedes – 21:41,60 Minuten
Im Tal wird Hermann Lang von seinem Team begeistert gefeiert – hier scheint mittlerweile wieder die Sonne.
Die Grossglockner Rennen sind für lange Zeit die Krone des Automobil-Sport.
Hermann Lang erinnert sich:
„Diesmal schlug ich in meinen Standort, dem herrlichen Zell am See, schon zehn Tage vor dem Rennen mein Lager auf und fuhr Tag für Tag die Strecke auf und ab. Meine Frau machte indessen auf der prächtigen Glocknerstrasse Spaziergänge. Wurde ich ihrer ansichtig, so nahm ich die betreffende Kurve besonders scharf und ließ den Wagen so schleudern, daß er fast quer zur Strecke stand.
Bei der Heimfahrt nannte mich meine Frau einen großen Angeber, und sagte nachsichtig, sie wisse genau, daß ich alle anderen Kurven viel weniger gefährlich durchfahren hätte. Sie fuhr auch selbst und sogar recht gut, so daß sie beurteilen konnte, daß es nur „Mätzchen“ waren, die ich da vorführte.
Ebenso fleißig wie ich trainierte Müller auch schon Tage vorher, war er doch mein Hauptkonkurrent um die Bergmeisterschaft. Er hatte sich, da er früher ebenfalls erfolgreicher Motorradrennfahrer war, um in dem lebhaften Verkehr öfter fahren zu können, ein Motorrad zu Übungszwecken mitgebracht.
Beim Training gab´s viel Arbeit, denn ich ließ nichts unversucht, alle Möglichkeiten zu erproben, mir den seltenen Titel eines Bergmeisters zu erwerben. Zunächst war die Frage zu lösen, ob ich wieder den 3-Liter- oder den 6-Liter-Wagen nehmen sollte. Bald entschied ich mich für den 6-Liter, dessen größere Leistung hier auf der rauhen Strecke voll ausgenutzt werden konnte und der auch in den oberen Höhenlagen bis zu 2.400 Meter ü.d.M. weniger Leistungsabfall zeigte.
Ebenso schnell war die Bereifungsfrage geklärt. Man hatte bei der Doppelbereifung das Gefühl, mit der viel breiteren Hinterspur an einem der vielen Randsteine hängen zu bleiben. Es war nicht möglich, wie sonst, mit der Radkappe des Vorderrades an den Prellsteinen vorbeizuzielen, sondern man mußte weiter auswärts fahren. Bald hatten alle Fahrer wiederum einzelne Räder montiert, die auf der rauhen Strecke genügend Bodenhaftung hatten.
Bei jeder Fahrt purzelte ein Rekord. Immer höher trieb die Leistung eines Fahrers die des anderen. Um des Gegners Stärke und Schwäche genau kennenzulernen, stellte man geheime Stopp-Posten auf verschiedenen Streckenteilen auf.
Bei schönstem Wetter absolvierten wir den ersten Lauf des Rennens. Ich durchfuhr die Kurven wie nie zuvor und mir war bewußt, daß ich an keiner Stelle der Strecke Zeit eingebüßt hatte. Und dennoch – es langte nicht. Um genau eine Sekunde war Müller schneller, und hinter mir lag Stuck, der dreimalige Deutsche Bergmeister, mit einem Abstand von nur Sekunden-Bruchteilen.
Als wir wieder den Berg hinunter rollten, um uns zum zweiten Lauf bereitzumachen, empfing mich unsere Gruppe beim Start mit langen Gesichtern. Nur gut, daß niemand versuchte, mit mir zu sprechen, denn es wäre auch garnichts zu besprechen gewesen. Ich war in scheußlicher Laune, und selbst meine Frau machte einen weiten Bogen um mich. Schlug mich Müller hier, so war die Bergmeisterschaft trotz meines Wiener Sieges verloren, denn der Sieg am Großglockner gab den Ausschlag. Wo konnte Müller nur schnelle gewesen sein? Ach, alles Grübeln war da zwecklos.
Wie bei einem Kulissenwechsel beim Theater für den nächsten Akt begannen sich plötzlich am heiteren Himmel schwere Regenwolken zusammenzuziehen und es begann leicht zu regnen.
Zwei Jahre früher hätte ich wohl unter solchen Umständen gesagt; „Wozu mich und den Wagen der Gefahr aussetzen –es hat keinen Sinn zu starten“. Diesmal war es kein Seufzer, mit dem ich dem Regen begegnete. Ich allein wußte, wie sehr ich auf diesem Gebiet zu Hause war. Aber leider war es nicht allein der Regen, denn schon drückte von den Berggipfeln schwerer Nebel ins Tal. In dieser „Waschküche“ konnte man nichts riskieren, und bei einem unbeherrschten Rutscher war man rettungslos verloren, denn knapp neben der Strasse gähnten tiefe Felsschluchten.
Als Vorletzter aller Beteiligten startete ich zum zweiten Lauf. Vorher sah ich einen nach dem anderen meiner Vorgänger im dichten Nebel verschwinden. Und dann kam ich. Die Zähne fest zusammengebissen, vorsichtig die Kupplung loslassend, startete ich. Keinen Rutscher machten die Hinterräder, schnurgerade zog ich davon.
Und dann gab´s nur noch zwei Dinge für mich: den Wagen und die Straße. Es war die anstrengendste Fahrt, die ich je erlebte. Sturm und Regen peitschten mir beinahe waagrecht unter der Maske ins Gesicht, und kaum 20 Meter hatte ich freie Sicht. Fast war es kein Fahrer mehr, sondern ein Vorwärtstasten. Das ganze Training war zwecklos für diese Fahrt, denn die vielen eingeprägten Streckenmerkmale gingen bei dieser nur 20 Meter weiten Sicht vollends verloren.
Mit größter Willensanstrengung, immer nur das kurze Straßenstück vor mir, raste ich die Strecke hinauf, niemals wissend, wo ich mich befand und unter Verhältnissen, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Wäre da nicht der Turm hinter dem Ziel gewesen, ich hätte nicht einmal gewußt, daß ich am Ende der Rennstrecke war.
Wie ich eigentlich hinauf kam, weiß ich bis heute nicht, nur daß ich einige Minuten im Wagen sitzen bleiben mußte, um mich von meiner Erschöpfung zu erholen. Meine Augen schmerzten mich – ich mußte sie schließen, ein heftiger Kopfschmerz zog mir durch den ganzen Schädel. Ich war so zerschlagen, als hätte man mich den Glockner hinuntergestürzt. Die kurze Ruhe tat gut.
Bald war diese Beklemmung vorbei, und ich ging zu Fuß zum Ziel zurück, wo ein Omnibus uns Fahrer aufnahm, um uns vor den Unbillen des Wetters zu schützen. Lachend streckte mir Hans Stuck die Hand entgegen und gratulierte mir. Im ersten Moment glaubte ich, es wäre ein Scherz, aber da stimmten schon alle andren Fahrer ein.
Stuck sagte mir, ich wäre bei diesem Lauf 23 Sekunden schneller gewesen als Müller, der dadurch nur auf den 3. Platz kam. Der alte Bergkönig Stuck hatte sich ausgezeichnet gehalten und war nur 3 Sekunden langsamer als ich, was ihm den 2. Platz sicherte.
Anfang August fand in einem Schneetreiben die Preisverteilung statt. Feierlich ernannte man mich zum „Bergmeister 1939“. Mein erster Meistertitel auf Rennwagen – ich war furchtbar stolz!
Als ich wieder ins Tal zurückkam, lachte es mir aus allen Gesichtern entgegen, die vorher so traurig dreingesehen hatten. Neubauer meinte: „Das war ein Wetter wie auf Bestellung, eigentlich müßte jedes Rennen unter solchen Bedingungen gefahren werden: einmal bei Sonnenschein und einmal bei Regen. Da zeigt sich die wahre Meisterschaft! Wenn einmal der Automobilsport in die Olympiade aufgenommen wird, dann darf die Aufgabe nicht anders gestellt werden, als sie heute den Fahrern gegeben wurde. Läßt sich das Wetter nicht bestellen, so muß man es eben künstlich machen“.
Die erkämpfte Auszeichnung war und blieb mir Verpflichtung und Ansporn zugleich.
Besonders erfreut war auch unser Werk, das nach einigen Jahren nun auch wieder einen Bergmeister in den Reihen seiner Rennfahrer hatte.
Die Leistung auf diesem Sondergebiet war eine Krönung der unzähligen im Rennsport erzielten Erfolge.“